Die Wiedergeburt von Omega

Chapter 801: Nimm es (Ch.802)



Chapter 801: Nimm es (Ch.802)

Ein starker Duft traf Neveah als Erstes.

Er hing schwer in der Luft, etwas widerlich Süßes und Blumiges, aber keineswegs natürlich. Im Hintergrund ihrer Kehle verzog es sich, warm und zäh wie verdorbener Honig. Es gehörte überhaupt nicht in den Wald. Es war etwas Fremdes.

Etwas Absichtliches, gedacht zu verführen.

Neveah hielt kurz hinter der Baumgrenze inne, stützte eine Hand an die Rinde einer uralten Weide, deren Rinde feucht vom Tau war. Ihr Puls beschleunigte sich, als der Duft sie in Wellen erreichte. Er war falsch, doch mehr noch, er war auf eine Art vertraut, die sie nicht zuordnen konnte.

Bis sie es konnte.

’Aphrodisiakum.’

Und dann ... darunter ... etwas anderes.

Ein metallischer, kupferner Geruch, der hier ebenfalls fehl am Platz war. Aber er ließ sie festgewurzelt stehen, und ihr Herz zog sich zusammen.

Blut.

Aber nicht irgendein Blut.

Sein Blut.

"Jian", hauchte sie.

Neben ihr spannte sich Xenons Kiefer an. Sie musste es nicht sehen, um es zu wissen. Sie spürte seine Anspannung in der Luft, hörte, wie sich sein Atem veränderte, tief und gefährlich, zu kontrolliert, um ruhig zu sein.

Der Hain vor ihnen war von einer magischen Barriere umgeben. Sie schimmerte und verzerrte das Bild dahinter. Es sah sanft aus, vielleicht sogar schön. Unter einem blassen Mond leuchteten Blumen und warfen einen silbernen Lichtschein über die Lichtung. Ein sanfter Nebel wogte über der Oberfläche und ließ den Ort wie einen Traum erscheinen.

Doch Neveah hatte genug Illusionen gesehen, um es besser zu wissen. Sie waren oft dazu gedacht, Opfer einzuschließen und andere fernzuhalten.

"Was ist das für ein Ort?" murmelte Xenon.

"Eine Falle", antwortete sie düster, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Er ist drinnen."

Ohne zu zögern, hob sie ihre Hand. Magie stieg in ihr auf, entflammte im Takt ihres Herzschlags. Die Magie war nicht laut, doch in dem Moment, in dem sie die Barriere berührte, durchschnitt sie diese sauber. Ein feiner Riss glitzerte durch die Luft und breitete sich über den Schild aus, bis der gesamte Schleier wie Glas zersprang.

Der Duft wurde stärker, als die Barriere fiel.

Neveah betrat als Erste den Hain.

Ihre Stiefel trafen mit einem feuchten Geräusch auf das weiche Moos. Sie hielt nicht inne, um die Schönheit zu bewundern. Die gesamte Lichtung war unnatürlich still. Das Mondlicht war zu hell, zu silbern. Der Nebel war zu perfekt platziert, als wäre er gemalt. Jede Blume blühte voll und makellos, ihre Blüten öffneten sich, als wollten sie sie beobachten. Die Bäume raschelten nicht. Der Wind flüsterte nicht. Es war still... zu still.

Und in der Mitte, umgeben von Wasser, das so still war, dass es wie Glas aussah, stand ein weißer Steinthron.

Ihr Herz stockte.

Jian.

Er saß zusammengesunken auf dem Thron, sein Körper zu still, um entspannt zu sein, doch zu angespannt, um zu schlafen. Sein Brustkorb hob und senkte sich mit rauen, ungleichmäßigen Atemzügen, seine Haut war in einem dämmerhaften Farbton. Schweiß glänzte auf seinem Hals und der Brust, und seine Hände, die die Armlehnen des Thrones umklammerten, waren rot gefärbt.

Sein Blut.

Ihr Blick fiel auf seinen Oberschenkel, und ihr Atem stockte. Die Wunde blutete noch immer, frisch und tief. Hatte er sich selbst gestochen? Um bei Bewusstsein zu bleiben?

Um bei Verstand zu bleiben?Sie hatte keine Zeit, zu fragen.

Denn sie waren nicht allein.

Drei Feen standen in dem Becken, das ihn umgab, knöcheltief im glühenden Wasser. Sie bemerkten ihre Ankunft nicht. Eine strich träge mit einem Finger über Jians Schulter, als ob sie die Anspannung in ihm schmecken würde. Eine andere beugte sich zu seiner Kehle, atmete ein und schürzte die Lippen bis kurz vor seine Haut. Die dritte stand hinter ihm und hielt ihre Hände über seine Schläfen, als würde sie ein Ritual durchführen.

Sie waren wunderschön. Sogar ätherisch. Mit Haaren, die wie Seide schwebten, und Haut, die schimmerte. Ihre Kleider waren fast durchsichtig und schmiegten sich mit bewusster, kalkulierter Anziehungskraft an ihre Kurven. Eine hatte überhaupt kein Kleid, das irgendwo im Hain abgelegt worden war.

Aber unter ihrer Schönheit sah Neveah sie, die Stille eines Raubtiers. Das Glitzern in ihren Augen, das nicht zu etwas Unschuldigem gehörte.

Sie hatten auch Xenon nicht bemerkt, der wie ein kaum zu bändigender Sturm hinter ihr hervortrat.

Aber Neveah bewegte sich zuerst.

Sie gab keinen Laut von sich.

Gab keine Warnung ab. Das war ein zu großes Privileg ... eines, das sie sich nicht erlauben würde.

Sie ging vorwärts ins Wasser, das ihre Stiefel durchnässte und ihre Füße frösteln ließ.

Die Fee, die Jians Schulter berührte, hob den Kopf und sah Neveah in die Augen.

Das war die einzige Warnung, die sie bekam.

Neveahs Krallen fuhren schnell aus, glitzernd und von Wut durchdrungen. Die erste Fee hatte kaum Zeit zu schreien, bevor ihr Körper im Wasser aufschlug und das Blut den mondbeschienenen Pool befleckte.

Die zweite drehte sich um und riss den Mund auf, mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen.

Neveah wartete nicht darauf, es zu hören.

Sie schlitzte sie mit einem Schlag auf, die Magie summte in der Luft. Der Körper fiel zu Boden.

Die dritte Fee, die hinter Jian gestanden hatte, versuchte zu fliehen... zu spät. Neveah packte sie an der Kehle, zerrte sie nach vorne und schleuderte sie gegen den flachen Rand des Beckens, wobei sich ihre Krallen in ihren Hals bohrten.

"Hast du ihn angefasst?" fragte Neveah mit gefährlich ruhiger Stimme.

Die Lippen der Fee spalteten sich, sie zitterte.

"Hast. Du. berührt. Ihn?"

Die Antwort kam nicht schnell genug.

Ein ekelerregendes Knacken folgte.

Dann Stille.

Der Hain, einst ein Ort des falschen Friedens und der Verlockung, stank nun nach Blut und Magie. Das Mondlicht schien jetzt kälter, endlich ehrlich in seiner Beleuchtung. Die Schönheit war noch da, aber sie war nicht mehr verführerisch.

Neveah stand an der Kante des Throns und starrte ihn an. Ihr Blick schmerzte.

Jian.

Er sah sie nicht sofort an. Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite, seine Augen waren kaum fokussiert. Seine Atmung war immer noch unregelmäßig, und sein Körper zitterte leicht, ob vom Gift oder von dem, was er bekämpft hatte, wusste sie nicht.

Sie ließ sich vor ihm auf die Knie fallen, das Wasser plätscherte an ihrer Taille. Sie griff nach oben, um sein Gesicht zu berühren, zögerte, tat es dann aber doch und umfasste seinen Kiefer.

Seine Haut war heiß. Fiebrig. Seine Augen hoben sich schließlich und trafen die ihren.

"Neveah", röchelte er.

Der Klang ihres Namens in seiner Stimme ließ etwas in ihr zerbrechen. Es war mehr eine Frage als eine Gewissheit. Sie schluckte schwer.

"Ich bin hier", flüsterte sie. "Du bist in Sicherheit." noveldrama

Er zitterte.

Er begegnete ihren Augen nicht. Er starrte auf das Wasser, als würde es Antworten enthalten oder Schuldgefühle, die zu schwer waren, um sie laut auszusprechen.

"Tu es nicht", murmelte er heiser.

"Ich bitte nicht um Erlaubnis."

Jian wich bei ihrer Berührung zurück. Sein Gesicht war blass, die Augen glasig von den Überresten des Dunstes, der immer noch an seinem Verstand kratzte.

Er versuchte wieder zu sprechen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Sie sah den Schmerz in seinem Gesicht aufflackern, die Anspannung in seinem Kiefer, als er gegen sein eigenes Verlangen ankämpfte.

Ihr Blick folgte ihm langsam, und sie nahm den Anblick voll in sich auf.

Die Wunde an seinem Oberschenkel war tief. Der Dolch steckte noch immer dort, bis zum Griff eingegraben... seine eigene Klinge.

"Du hast das getan?", fragte sie.

Er nickte leicht.

"Warum?" flüsterte Neveah.

"Um bei Bewusstsein zu bleiben."

"Weil ... du es nicht warst."

Sie atmete scharf ein.

"Es ist vorbei", sagte sie. "Sie sind weg."

Sie zögerte nicht. Sie griff den Griff und zog. Er stöhnte, bewegte sich aber nicht weg. Das Blut floss wieder ungehindert, und sie drückte mit dem Handballen dagegen, ihre Magie wirkte gerade genug, um die Blutung zu stoppen.

Es war jetzt wie ein Instinkt, die Magie nach ihrem Willen zu beugen. Sie benutzte sie, um ihren Willen zu erfüllen.

Hinter ihr spürte sie, wie Xenon ebenfalls ins Wasser trat. Aber er sagte nichts, das brauchte er auch nicht. Seine Anwesenheit war beständig. Wachsam. Angespannt mit der gleichen Wut, die Neveah in sich trug.

Jians Hand hob sich langsam und legte sich seitlich um ihren Hals.

Seine Finger gruben sich ein, nur ein wenig. Er versuchte verzweifelt, etwas Reales festzuhalten.

"Ich dachte...", begann er, aber er ließ die Worte hängen. Seine Augen wurden geschlossen. "Ich sollte immun sein... Ich weiß nicht, wie das möglich ist."

"Es wurde mit Blick auf dich erschaffen." murmelte Neveah. "Von jemandem, der Drachen ... zu gut kennt."

"Sie sahen aus wie du", sagte er heiser. "Ich konnte nicht nachdenken. Alles in mir wollte es glauben. Ich wollte nachgeben."

"Ich wusste, dass es nicht echt war. Aber meinem Körper war das egal."

Neveah lehnte sich vor und legte ihre Stirn an seine. "Ich weiß. Aber du hast nicht gebrochen."

Sein Atem ging stoßweise. "Ich hätte es fast getan."

"Aber du hast es nicht getan."

Er blinzelte sie an, Schuldgefühle kämpften mit Erleichterung.

"Ich wäre lieber gestorben", flüsterte er, "als sie zu berühren, weil ich dachte, sie wären du."

Das spürte sie. Tief in ihrer Brust. Ihr Herz bebte, hin und her gerissen zwischen Schmerz, Wut und der Erkenntnis, wie sehr sie diesen Mann liebte.

Sie sah die drei Fae wieder an.

"Sie haben dich berührt?"

Er nickte einmal.

Ihr Kiefer spannte sich an, der Muskel dort tickte vor Zurückhaltung.

"Drei Tode sind nicht genug..."

Dann erhob sie sich und zog ihn mit sich hoch, wobei sie seinen Arm um ihre Schulter schlang. Xenon stützte ihn von der anderen Seite. Er lehnte sich schwer an sie. Der Thron hinter ihnen glitzerte feucht. Die Luft roch nach Blut und verblassender Verzauberung.

Sie erreichten den Rand des Beckens, und sie ließ ihn sanft auf das Gras sinken.

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich euch zwei finde", sagte er, den Blick zum Himmel gerichtet.

"Das musstest du auch nicht", sagte sie. "Wir hatten bereits beschlossen, dich zu finden."

Dann sah er sie an, und etwas flackerte hinter seinen Augen auf. Eine Frage. Ein Bedürfnis.

Die Wirkung des Aphrodisiakums war noch nicht abgeklungen.

Das würden sie auch nicht... es sei denn...

"Veah... ich..." Er brach ab und kämpfte gegen das Verlangen an, das ihn verzehrte.

Sie antwortete nicht sofort. Dann streckte sie langsam die Hand aus und strich ihm das Haar aus der Stirn.

"Willst du, dass es echt ist?"

Er begegnete ihrem Blick. "Ich will nicht, dass es so ist. Nicht verschwommen. Nicht ... gestohlen."

Ihre Hand verweilte. "Und wenn es nicht gestohlen ist?"

Er schwieg.

Sie lehnte sich vor. Ihr Mund schwebte über seinem, ihr Atem war warm, aber sie berührte ihn nicht. Noch nicht.

Ihr Blick wanderte zu Xenon und sah, wie sich seine Augen verdunkelten.

"Wenn du etwas Echtes willst", sagte sie leise, "dann nimm es."


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